Thule G Jug 2
21.07.2021

„Jeder soll sein Bestes geben“

Interview mit Thule G. Jug: "Es geht um Dharma-Aktivität, und jeder soll sein Bestes geben, ganz einfach."

 

ÖBR: Lieber Thule, du bist für mich ein Buddhist der ersten Stunden, aber wie bist du zum Buddhismus gekommen?

 

Thule: Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, obwohl Religion in meiner Familie keinen hohen Stellenwert hatte. Nach meiner Ausbildung als Fotograf ging ich zum Zivildienst, der gerade gesetzlich anerkannt wurde. Und ich las damals in einer Zeitung, dass ein Mili­tärpfarrer die Zivildiener als Drückeberger bezeichnet hatte. So sind meine Freunde und ich gemeinsam aus der katholischen Kirche ausgetreten. Wir waren noch alle gemeinsam beim damaligen Bischof Weber, der sehr nett war, und sagten ihm, dass Jesus sicherlich den Wehrdienst verweigert hätte. Diese Ideale der Hippiebewegung wurzeln in mir noch immer und sind für mich bis heute kompati­bel mit dem Dharma. Letztendlich geht es um Liebe und Mitgefühl mit einem guten Schuss Sarkasmus, ob es damals schon unwissent­lich Dharma-Ideale waren oder es einfach nur gepasst hat, ist nicht so wichtig.

 

ÖBR: Aber es war schlüssig für dich?

 

Thule: Absolut, absolut, bis heute. Ich denke mir, hören wir auf, Waffen zu produzieren, dann hat sich die Sache erledigt. Die Antwor­ten der damaligen Hippiebewegung waren gut und einfach und sind bis heute immer noch richtig. Durch Glück und Schicksal bin ich 1979 in Graz dem Ole Nydahl begegnet.

 

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Ich hörte seinen Einführungsvortrag über Buddhismus und bin heimgekommen.

 

ÖBR: Wie, einfach so bist du Ole Nydahl begegnet?

 

Thule: Ich muss kurz noch eine Vorgeschich­te erzählen. Ich lebte damals in Liverpool, England, und arbeitete an einem Projekt mit Straßenkindern. Ich wollte damals unbedingt nach Neuseeland. Da ich kein Geld hatte, habe ich eine Möglichkeit gefunden, als Begleiter von Rennpferden nach Australien mitzuflie­gen. So wäre ich schon in Sydney gewesen und ich hätte aber noch einen zweiten Platz für eine Mitreisende gehabt. Ich war damals mit einer sehr lieben Frau in Graz zusammen, aber wir hatte sehr unterschiedliche Ansich­ten vom Leben, sie war Beamtin mit einem sicheren Leben und ich war ein Vagabund. Ich flog nach Graz, um sie zu überzeugen,mit mir und den Pferden nach Australien zu fliegen und nach Neuseeland auszuwandern. Ich war eigentlich nur kurz zu diesem Zweck in Graz, aber sie wollte ihren Job in der Landesregie­rung nicht aufgeben und dachte nur, dass ich jetzt vollkommen spinne [lacht:]. Bei einer dieser Diskussionen gingen wir durch die Innenstadt und sahen einen Zettel mit einem Hinweis ‚Die Buddhas vom Dach der Welt‘ und wir dachten, dass es ein Lichtbildervortrag vom Himalaya sein wird. Der Vortrag fand im Minoritenkloster im Keller statt und ich wunderte mich noch, dass da kein Diaprojek­tor war. Da saßen vorne rund um einen Tisch Ole Nydahl mit Kurt Nübling. Ich hörte seinen Einführungsvortrag über Buddhismus und bin heimgekommen. Keine Rennpferde, kein Aus­tralien, kein Neuseeland, in diesem Moment war für mich alles gestorben. Zwei Tage später folgte ich Ole nach München. Ole war damals für mich, was ich mir immer wünschte: ein spiritueller Freund. Er sagte immer, ich bin nicht das Kraftwerk, aber ich habe die Finger in der Steckdose. Da spürte ich diese starke Verbindung, auch wenn ich nicht ganz perfekt bin. Das war mein Schlüsselmoment, für den ich Ole auch immer dankbar sein werde. An diesem Abend in Graz verband mich das Schicksal mit dieser wundervollen Lehre. Ich bin zwar mit dem Buddhismus heimgekom­men, hatte aber noch wenig Ahnung davon.

 

ÖBR: Wie ging es weiter?

 

Thule: Ein paar Freunde und ich machten in Graz das erste vegetarische Restaurant, ‚Der Sonnenbaum‘, auf, ich sah aber noch kein buddhistisches Angebot in Österreich. Andere kreative Geschichten brachten mich dann in den Tessin, in der Schweiz, zum ‚fiesta monte verita‘, das ein alternatives Bewegungsfestival ist. Es wurde von niemandem organisiert und hatte seinen Ursprung bei Hermann Hesse, der sich schon um die Jahrhundertwende dort mit Gleichgesinnten traf. Man muss sich das so vorstellen, dass es von Mund zu Ohr in der Szene, in Kommunen in Deutschland, Holland und Österreich weitergesagt wurde, und alle trafen sich dort vom Vollmond im Mai bis Vollmond im Juni. Ein Monat lang versammelte man sich auf einer großen Wiese um 10:00 Uhr, da gab es dann ein Angebot verschiedener Workshops. Ich bot damals an, eine Gauklertruppe zu bilden, damit zogen wir nach dem Festival durch die Dörfer des Tessins und Norditaliens und führten dort unsere Kunststücke auf. Alles wurde zu Fuß zurückgelegt und wir wurden sehr liebevoll von der Bevölkerung aufgenommen und bekamen zu essen und zu trinken. Es war der Geschmack von Freiheit und unsere Kunststü­cke waren recht einfach: Ich zog mit Kreide einen Strich auf der Straße und wir führten darauf einen Seiltanz vor. Nach einer Zeit auf einer Alm hörte ich von einem ‚Padre Tibeta­no‘ und dachte mir, das klingt interessant und ging zu seinem Haus. Dort gab es zwei intakte und ein kaputtes Steinhaus, ebenfalls auf einer Alm im Tessin. Ich wartete drei Tage, bis der Mönch kam.

 

ÖBR: Wer war eigentlich dieser ‚Padre Tibetano‘, und was wolltest du dort?

 

Thule: Es war der jahrelange persönliche Koch von Lama Gesche Rabten und auch dessen Retreatstelle. Padre Tibetano stammte aus dem Elsass und sprach daher hervorra­gend Deutsch und sagte von sich selbst, dass er uralt wäre. Das war für ihn gut, denn so schleppte ich die schweren Steine für die Renovierung des Retreat-Hauses, das er gerade baute. Er fragte mich, was ich eigentlich hier wolle, und ich antwortete, dass ich meditie­ren lernen will. Auf seine Frage, was ich mir unter Meditation vorstellen würde, hatte ich keine Antwort. Er sagte, da denkst du einmal darüber nach, und ließ mich arbeiten. So verbrachte ich einige Monate bei ihm und ich verdanke ihm und seiner Weltoffenheit sehr viel. Er gab im Ort keinen Priester, und so wurde er von der Alm gerufen, um den Leuten im Ort Trost zu spenden. So ging Padre Tibetano mit dem Rosenkranz in den Ort und machte seelsorgerische Tätigkeiten. Er sprach weniger über Buddhismus, sondern über das, was den Leuten vertraut war. Er ist für mich ein großes Vorbild geblieben, weil er nichts zu beweisen, nichts zu verteidigen hatte, sondern einfach das tat, was angestanden ist. Mich hat er manchmal etwas garstig behandelt, aber das habe ich wahrscheinlich verdient [lacht:]. Für mich war damals klar, dass ich Mönch werden wollte, es war für mich das höchste Ideal. Es gab damals nichts Schöneres und Tolleres.

 

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Wenn du wieder zurückkommst, vergiss bitte nicht, eine Milch mitzunehmen.

 

ÖBR: Wieso bist du dann kein Mönch geworden?

 

Thule: Leider kam Anfang September 1980 der Tag, an dem meine Mutter und Großmutter bei einem Autounfall in der Steiermark ums Leben kamen. Ich fühlte mich an diesem Tag nicht wohl, dass ich nicht arbeitete. Da kam auf ein­mal der Gemeindesekretär aus dem Ort zu uns auf die Alm und sagte mir, dass ich runterkom­men solle, um dringend zu Hause anzurufen. Nach dieser schrecklichen Nachricht musste ich nochmals auf die Alm, da ich nichts bei mir hatte, und fragte Claude [Anm.: Padre Tibetano], ob er mir nicht einen Tipp geben kann oder auf was ich besonders achten soll, denn es ist etwas Arges passiert. Und er sagte zu mir: „Ja, wenn du wieder zurückkommst, vergiss bitte nicht, eine Milch mitzunehmen.“ Das war sein Tipp für mich und ich war sehr zornig auf ihn, aber interessanterweise brachte mich dieser Satz durch meine Krise. Dieses Teaching war zwar sehr hart, aber nicht ohne Liebe, und half mir damals, am Boden zu bleiben. Ich blieb in Graz und traf wieder Ole [Anm.: Ny­dahl]. Er sagte mir damals, du kommst mit mir nach Indien. Als Taxifahrer in Graz arbeitete ich Tag und Nacht, um mit ihm nach Indien zu fliegen. Aber ich war nicht der Einzige, sehr viele Individualisten flogen mit nach Indien. Ich dachte mir noch: „Na, servas!“, denn ich war ja nicht so der Gruppenreisende [lacht:]. Aber ich flog mit.

 

ÖBR: Was geschah dann 1981 in Indien?

 

Thule: Wir machten eine dreimonatige Pilgerreise durch verschiedene buddhis­tische Stätten mit dem Ziel, dass Ole und seine Schüler*innen Anfang November nach Rumtek [Anm.: Kloster vom 16. Karmapa] kommen sollten, um Karmapa [Anm.: der 16. Gyalwa Karmapa Rangjung Rigpe Dorje] zu treffen. Als wir in Bodhgaya [Anm.: Eine kleine Stadt, die im nordindischen Bihar liegt und als der heilige Ort gilt, wo Buddha unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung erlangte] waren, kam plötzlich die Nachricht, dass Karmapa schwer krank war und nach Ame­rika gebracht wurde. Es war absehbar, dass wir ihn nicht sehen würden können. Als wir nach Rumtek kamen, verstarb genau zu die­ser Zeit der 16. Karmapa in Amerika [Anm.: Zion, Illinois, USA]. Es war eine eigenartige Situation. Wir wurden sehr herzlich aufge­nommen und waren da, als Karmapas ver­storbener Körper, sitzend in einer Box, nach Rumtek kam, und wohnten der gesamten Zeremonie, die über 40 Tage dauerte, bei. Ich freundete mich mit Pönlop Rinpoche an und wurde gefragt, ob ich Fotos fürs Kloster ma­chen könnte. So fotografierte ich die gesamte Geschichte der Zeremonie vom 16. Karmapa. Ohne meine eigene Entscheidung wurde ich als 23-Jähriger Fotograf der tibetischen Kar­mapa-Linie und machte es mein Leben lang. Nach der Verbrennung des Leichnams vom 16. Karmapa fragte ich mich, wer hier jetzt der Chef sei? So bat ich um eine Audienz bei Shamar Rinpoche, dem Sharmapa. Ich war damals schockiert, dass man in Indien keinen braunen Reis aß, und so sagte ich ihm, dass alle in Indien einen braunen Reis essen soll­ten. Er war sehr lieb zu mir und sagte: „I will think about it.“ [lacht:]. Dann bat ich ihn um einen Rat, da ich aus einem Land kam, wo es keinerlei Buddhismus gab, da fragte er mich, wo ich den herkam, und wollte es auf einer Landkarte sehen. Ich zeige ihm Graz und er nahm ein Amitabha-Bild und schrieb auf die Rückseite einen Namen und sagte, das ist der Namen eines Zentrums, du gehst dort hin und machst ein Karma-Kagyü-Zentrum. Du gehst heim, das war seine Antwort [lacht:]. Bevor ich heimflog, machte ich noch ein zweimonatiges Retreat nahe seinem Kloster in Kathmandu und ging danach alleine zum Basislager des Mount Everest.

 

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Wenn man selbst Dharma in den Mittelpunkt stellt, dann geht das problemlos.

 

ÖBR: Was sagst du dazu, dass es nun zwei 17. Karmapas gibt?

 

Thule: Hier geht es tatsächlich um Politik. Ich möchte es so formulieren, der Karmapa [Anm.: Thaye Dorje, der 17. Karmapa], den ich gut kenne und zu dem ich großes Vertrau­en habe, hat sich mit dem anderen Karmapa mehrmals getroffen. Damit haben sie beide ganz klar nach außen dokumentiert, dass sie die Politik nicht interessiert. Es geht um Dharma-Aktivität, und jeder soll sein Bestes geben, ganz einfach, und es ist auch ein biss­chen Schicksalshaftigkeit, zu welchem Lehrer einen das eigene Karma hintreibt. Wenn man selbst Dharma in den Mittelpunkt stellt, dann geht das problemlos.

 

ÖBR: Du hast viel für die ÖBR getan. Was hältst du von ihr?

 

Thule: Ich liebe die ÖBR und sehe sie als so etwas Wichtiges und Kostbares an. Durch meine vielen Reisen durch die Welt weiß ich, wie selten es ist, so viele Schulen unter einem Dach zu vereinen. 1994 war ich im Gemeinde­vorstand und es war eine sehr intensive Zeit. Ich arbeitete unentwegt für die ÖBR und wir kristallisierten uns aus der 10-Jahres-Feier heraus. Wir kreierten monatelang die ÖBR-Verfassung; Theo Strohal, Alexander Drasz­czyk, Peter Rumpler und ich.

 

ÖBR: Wie kam es zu deinem Engagement in der Gefangenenbetreuung?

 

Thule: Alexander Draszczyk und ich waren in einer ORF-Radio-Sendung „Freizeichen“ bei Nora Frey zum Thema „Trendreligion Buddhismus“, und diese hörte ein Häftling in Stein. So begann ich nach einem Briefwechsel ihn zu besuchen. Ich machte mir selbst einen Ausweis und ging als buddhistischer Seelsor­ger nach Stein. So wurde und war ich 25 Jahre lang Gefangenenbetreuer.

 

ÖBR: Gibt es eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die du aber gerne beantworten möch­test?

 

Thule: Ja, mein Leben hört sich vielleicht recht toll an, aber ohne meine Partnerin Gun­hild, die mich überall unterstützte, wäre es nicht möglich gewesen. Das ist ganz wichtig und gehört ganz nach oben gestellt. Ich bin eigentlich nicht stolz auf irgendetwas, aber ich bin dankbar für alles. Wenn man sich seine eigenen Geschichten ansieht, was hat man wirklich beeinflusst? Es hat einen immer irgendwo hingeschmissen, zwar muss man dann schon sagen links oder rechts, aber dass man überhaupt zu der Abzweigung gekom­men ist – da kann man nur DANKE sagen.

 

ÖBR: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview: Hannes Kronika, Fotos: Ida Räther



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